Tag 19 – Mag.a Melanie M. Lerchner

Berufene Frau in der Kirche: deplatziert, unwillkommen, würdelos

Vor einigen Jahren mussten meine damals 24 Jahre jungen Ohren und Gehirnzellen den Satz vernehmen: „Du kannst keinen göttlichen Ruf zum Priesteramt hören – du bist eine Frau.“ Von welcher kirchlichen Obrigkeit diese Worte ausgesprochen wurden, sei hier nebensächlich. Nach diesem Satz weiß man nicht, soll man in ewige Schockstarre verfallen, wütend im Kreis laufen, losheulen, zum Gegenangriff einatmen oder sich am besten wie in einem Marvel-Comic *PUFFFFFFFF* in Luft auflösen. Die Einstellung, die sich hinter gehörter Aussage verbirgt und die damit verbundene Ambivalenz an Gefühlsregungen spürt man als feinfühlige Frau in der kirchlichen Gesamtinstitution an allen Ecken. Diese Worte jedoch zu hören, verändert alles. Plötzlich dämmert es: Du bist hier mit deinen noch so gottgeschenkten Talenten eingesperrt in einen goldenen Käfig. So, wie du bist und spürst zu sein, kannst du hier nicht bleiben. Ein Mensch, eine Frau mit Begabungen und Charismen in einem symbolhaften Land, das keinen Platz für sie findet und auch nicht finden will. Das erinnert an manch aktuelle Asylverfahren, obgleich es hier „nur“ um Heimat im übertragenen Sinn geht und dennoch um den gesamten Menschen mit all seinem Sosein. Fragen kommen hoch: Wie soll dieses Land je zur Heimat werden? Wie sollen die gottgeschenkten Talente je Entfaltung erfahren? Wie soll auf den deutlich und täglich spürbaren Ruf geantwortet werden? An die Kirchentür genagelt steht deutlich geschrieben: Du bist hier deplatziert, unwillkommen, würdelos. Zur Wahl steht: unwürdig beugen oder in Würde gehen. Doch wohin?

Dies ist nur ein Beispiel für viele Menschengeschichten und Stimmen im System Kirche, die sich in ihrem Sein nicht ernst genommen, vielmehr ungerecht behandelt fühlen. Unsere heilige katholische Kirche auf Erden predigt Menschenwürde und spricht sie kategorisch einzelnen Menschengruppen ab. Sie agiert wie ein Asylanwalt im Glauben. Wir erleben menschenunwürdiges Verhalten aktuell leider auf der ganzen Welt viel zu häufig; überall werden Menschen herumgeschoben, abgeschoben, verneint und ignoriert. Doch gerade in der Kirche Jesu Christi sollte eine derartige Haltung nicht praktiziert werden. Im Gegenteil, die Kirche könnte ihre Vorbildrolle ernst nehmen und die Welt zur positiven Entwicklung mitverändern. Sie hätte den Schlüssel dazu einst in Händen gelegt bekommen. Denn Jesus vermittelte uns: Alle Menschen tragen dieselbe Würde. Eine wunderschöne Zusage, die bis heute gilt oder gelten sollte. Die katholische Kirche übernimmt diese berührenden, wahren Worte, zerreißt sie in einzelne Stücke und formiert ihr eigenes Bild nach katholischen Regeln. Und diese Regeln, dieses Bild sollen bitte alle Menschen für gut befinden, denn sie gelten schließlich im Namen Christi.

Wie sieht nun dieses kirchliche Menschenbild nach katholischen Regeln aus: Also, Menschenwürde, ja, aber dann bitte nicht jeder Mensch und schon gar nicht, wie von Gott geschaffen. Denn manche Schäfchen passen ja schon gar nicht in das kirchlich fein-normierte Porträt. Wir hätten da zum Beispiel alle homosexuell orientierten Menschen, die transidenten Menschen, Inter*personen und überhaupt die gesamte Queer-Bewegung, selbstverständlich alle so betitelten Geschiedenwiederverheirateten, … oder wie in meinem persönlichen Anliegen: Frauen, die sich zum modernen Priesteramt berufen, ja ge-rufen fühlen und den ursprünglichen, tiefen, heilsamen Segen Gottes spüren, leben und schenken wollen. Zu letzteren wird höchstens abfällig erwidert, wie einleitend angeführt. Diese Aussage, die leider nicht als schlechter Scherz gemeint war, wirkt, als entstammte sie dem schwärzesten Mittelalter; geäußert wurde sie jedoch im 21. Jahrhundert – welch großes Armutszeugnis für diese Kirche. Das kirchlich konstruierte Puzzlebild wird also auch in der modernen Zeit ganz klar über einen lautstarken göttlichen Ruf gestellt, derweil sollte doch genau dieser Ruf über allem stehen oder hab´ ich hier was falsch verstanden?

Die Gesellschaft hat es geschafft, sich aus dem Mittelalter herauszuentwickeln, doch die Kirche als System findet diese dunkle Zeit mit ihren menschenverachtenden, unterdrückenden Ansichten wohl noch immer viel zu kuschelig. Dass genau ein Eingestehen der eigenen Menschlichkeit auch in kirchlichen Hierarchien die einzige authentische Chance wäre, den ursprünglichen Auftrag Gottes über Liebe, Glaube und Zusammenleben zu vermitteln, das interessiert scheinbar an obersten Ebenen nicht. Um diesen Gedanken in die Synapsen einziehen zu lassen, sitzen die Kronen wohl zu fest. Derweil wäre das Sehnen auf „unterster“ Schäfchenebene vorhanden und groß – selbstverständlich, denn auch das ist ein göttlicher Ruf, der wahrgenommen werden will. Doch wie war das eigentlich mit Gott und der frohen Botschaft? Zu oft wirkt es, als wüsste das im Kirchensystem kaum jemand mehr oder stellt man sich bewusst dumm oder ist man gegenüber der Botschaft Gottes gar aufrichtig ignorant? Auch egal. Das mit Gott und der Liebe kann ja nicht so wichtig gewesen sein.

Ein großer Unterschied zu mittelalterlichen Verhältnissen liegt darin, dass sich die heutige Bevölkerung ein unterdrückendes Herrschen und verachtendes Bevormunden einer Kirchengemeinschaft – egal welcher – nicht mehr gefallen lässt. Demütiges Beten, Knien und Zahlen gehören nicht mehr zu obersten Tagesordnungspunkten. Die Kirchenaustritte ziehen mittlerweile bereits in Theolog*inn*enkreisen ein. Die kirchliche Glaubensinstitution hat ihre Absprungrampe in die neue Zeit demnach um Lichtjahre verfehlt. Das Rad ist zerschellt, die Rampe desolat und morsch. Sie ist nun eine Kirche, die alleine mit all ihrem Prunk und Schein in einer Wüste steht. Eine golden glänzende Fata Morgana ohne Wasser, ohne Leben und ohne Augen, die sie erblicken wollten. Ihre Botschaften wirken abtrünnig und unehrlich, gerufen durch ein nur noch auf Minimalstufe eingestelltes Megafon; ein Megafonruf ohne Publikum. Eine Whatsapp-Kettennachricht, die vielleicht aus Gewissensgründen herumgeschickt wird, die aber niemand liest und auch niemanden interessiert. Gott ist im großkirchlichen Handeln zu einem winzigkleinen Player am Rande verkommen. Er wird als letzter Reservespieler auf die Bank gesetzt, sollten die 11 starken Männer samt Ersatzspieler ausfallen. Doch dazu bräuchte es schon eine Apokalypse.

Als aufgeklärte Menschen, als moderne Frauen stellen wir uns vermehrt die Frage: Wie mit dieser Kirche umgehen? Mit einer Kirche, die Gott scheinbar nur noch als Randfigur an der Leine hält; mit einer Kirche, die Menschen willkürlich ihre Würde abspricht, mit einer Kirche, die es scheinbar nicht schafft, den wahren Auftrag der Liebe zu leben, obwohl sie den Schlüssel dafür in Händen hält.

Wie umgehen mit so einer Kirche: bleiben-resignieren-dulden, bleiben-erheben-wandeln, gehen-erheben-wandeln oder einfach nur gehen? Oder anders gefragt: wozu eigentlich noch bleiben?

Mag.a Melanie M. Lerchner

Mag. Melanie M. Lerchner 2019


7 Gedanken zu “Tag 19 – Mag.a Melanie M. Lerchner

  1. Danke für diese wahren Zeilen – genau das kenn ich!!!!!!!!!! Der Ruf Gottes ist die höchste Instanz, er ruft und ruft … hört die Kirche?
    Ich hoffe, dass sich bald soviel ändert, dass Kirche wieder zur Heimat werden kann… und jeder seine von Gott geschenkten Talente leben kann…

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  2. Wozu bleiben? Weil die Erneuerung von innen passieren muss und wir Frauen uns nicht vertreiben lassen! Diese Macht steht der heutigen Kirche mit den patriarchalen Klerikern nicht zu! Darum: bleiben.erheben.wandeln

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  3. Leider trifft der Artikel genau ins Schwarze! In Zeiten mangelnder Mitarbeiter im Dienst der Kirche umso trauriger. In den Pfarrkirchen „an der Basis“ wird schon viel in die richtige Richtung gelenkt, aber in der Institution Kirche verändert sich kaum etwas! Die Arbeit und Aufgaben der Kirche würden ohne Frauen gar nicht mehr funktionieren. Und ganz unten in der Hirachie und natürlich ehrenamtlich dürfen Frauen ja mit arbeiten…

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  4. Ihre Worte machen mich sehr betroffen! Ich spüre Ihr Verletzt-sein. Ich selber – 45 Jahre in kirchlichem Dienst gewesen – denke manchmal an Austritt. Noch bleibe ich, weil meine Christusverbundenheit stärker ist als der Ärger über das System Kirche.

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    1. Danke für Ihren Kommentar. Es stimmt, die Verletzheit war groß. Ich persönlich habe mich daraus befreit und Mut gefunden, Christus, meinen Glauben und meine Berufung num außerhalb zu leben. Für mich hat die Kirche Christus nicht gepachtet- er existiert dort wo er sein darf und gelebt wird. Ihnen alles Gute.

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